08.02.2013
Gedanken zur Nacht
Es ist vier Uhr morgens und ich liege wie fast jede Nacht in Afrika wach und versuche, die Eindrücke und Bilder dieser intensiven Reise zu verarbeiten. Heute möchte ich eine andere Geschichte erzählen, die ich vor einigen Jahren auf der indonesischen Insel Lombok erlebt habe. Ich war mit der Fähre aus Bali gekommen und hatte mir ein Moped gemietet, mit dem ich quer durch die Insel auf die andere Seite in den kleinen Ort Kuta geknattert war. Dort angekommen, hielt ich auf der Straße jemanden an und fragte ihn, wie die vorherrschende Musik der Insel heiße und ob ich wohl etwas davon hören könne. Der freundliche junge Mann antwortete mir, dass die traditionelle Musik "Sassak" sei, schwang sich auf meinen Rücksitz und dirigierte mich einige Kilometer durch die Landschaft, bis wir in einem kleinen Dorf ankamen. Dort war gerade auf dem Dorfplatz eine Probe im Gange, etwa 12 Musiker spielten, hauptsächlich auf selbstgebauten Instrumenten, die entfernt der Gitarre ähnelten. Die Musik war sehr rhythmisch und tatsächlich gehörten zur Gruppe einige wunderschöne Tänzerinnen in ihren traditionellen Gewändern. Ein kleines Kinderkeyboard stand unbenutzt dabei und ich fragte, ob ich wohl...? Na klar, war die Antwort (soweit ich verstand; denn Englisch sprach dort niemand und ich musste mich mit den wenigen Worten der Bahasa Indonesia behelfen, die ich im Laufe meiner Reise aufgeschnappt hatte), und so spielte ich mit, so gut ich konnte. Es schien den Kollegen zu gefallen, denn zwanzig Minuten später war die Probe vorbei und ich wurde aufgefordert, zusammen mit ihnen zu einem Gig zu fahren. Ein LKW kam, auf deren Pritsche Verstärker und Musiker geladen wurden, und wir holperten alsbald durch den Dschungel zu einem anderen Ort, wo eine große muslimische Hochzeit stattfand. Am Eingang des Dorfes lag eine frisch geschlachtete Kuh, jeder musste sie berühren, um an ihrer Wärme zu spüren, das sie vor kurzem noch gelebt hatte. Wir bauten neben dem Ziegenstall auf, man servierte uns zu essen, ich bekam das traditionelle Gewand umgeschlungen und schon ging's los. Wir spielten mehrere Stunden, immer wieder unterbrochen von weiteren Essenspausen, bis das örtliche Gamelanorcnester eintraf und übernahm. Die Kollegen luden ihre Instrumente wieder auf den LKW und wollten mit mir zur nächsten Hochzeit fahren, was ich aber ablehnte, weil ich ja eigentlich Urlaub machen wollte. Nach längerem Disput gab es einen herzlichen Abschied und ich kehrte zu meinem kleinen Hotel in Kuta zurück.
Dieses Erlebnis hat mich tief beeinflusst, denn weiter weg von meiner Heimat hätte ich kaum sein können, und hatte nach nur wenigen Stunden eine Möglichkeit gefunden, mit dem, was ich konnte zu überleben und in engen Kontakt mit der Bevölkerung zu kommen. Tatsächlich hätte ich auf der Insel bleiben können, eine Schule aufmachen(wozu ich gleich aufgefordert wurde) und eine Sassak-Karriere starten können. Diese Unabhängigkeit ließ mich mich frei fühlen und ich habe dieses Erlebnis nie vergessen; es hat mir oft über bittere Stunden, in denen ich wieder einmal mit Kleinkrämerei und Missgunst (das kennt jeder Künstler) zu kämpfen hatte; wusste ich doch, ich konnte, wenn ich wollte, einfach überall hingehen und überleben!
Dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Bruderschaft der Musiker habe ich auch hier in Afrika. Überall treffe ich hier als Musiker auf offene Herzen und Geister, keine Tür bleibt verschlossen, man nimmt mich auf, mit Geld oder ohne. Gestern Abend habe ich, wie immer, wenn ich in Dakar bin, Ousmane besucht. Der besitzt ein kleines Bürgersteiggeschäft unweit des Institut Francais in der Innenstadt und ist ein Musikweiser mit immensem Wissen über afrikanische Musik sowie einem Blick und Herzen für Talente. Bei ihm habe ich auf einem Kinderspielzeug zum ersten Mal mit Djiby gespielt, den Ousmane behrbergt und verköstigt hatte, als er mittellos aus Burkina Faso gekommen war; den Kopf voller Sterne und dem unbedingten Wunsch, Youssou N'Dour, den berühmten Musiker und jetzigen Minister kennenzulernen. Ousmane hat Djiby geerdet, ihm geraten, nicht irgend etwas hinterherzulaufen, sondern sich auf sein Instrument und seine Musik zu konzentrieren, ein weiser Rat! Ist es ein Wunder, dass ich diesen lächelnden Mann mit seinem schlechten Gebiss mehr respektiere als so manchen aufgeblasenen Möchtegernegroß und Sesselfurzer meiner Heimat? Gedanken zur Nacht....
P.S. Zeit aufzustehen, gleich muss ich zum Flughafen, es geht nach Guinea-Bissau. Ich freue mich besonders auf meinen Freund Carlos Robalo, ein weiteres Exemplar der Spezies Gross und Gut, von dem ich viel über afrikanische Musik gelernt habe und der mich am Flughafen erwartet, da ich kein Visum habe und offensichtlich keins brauche. Wir werden sehen!